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14.03.2024

„Vom Überschussland zum Defizitland“

Renommierter Wirtschaftsexperte warnt vor wirtschaftlichem Abwärtssog in Deutschland

Konjunkturelle Lage, Standortdebatte, Fachkräftemangel – am Dienstagabend gab Prof. Dr. Clemens Fuest im Rahmen einer offenen Fraktionssitzung einen Überblick über die wirtschaftliche Lage Deutschlands. Unter den wichtigsten Industriestaaten bildet die Bundesrepublik aktuell das Schlusslicht in Sachen Wachstum und Wirtschaftsleistung. Fuest, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats im Bundesfinanzministerium und Präsident des renommierten ifo-Instituts, zeigte deshalb in seinem Vortrag Möglichkeiten auf, wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist.

Foto: CSU-Fraktion
„Wirtschaft und Entwicklung sind heute die zentralen Themen“, eröffnete Fraktionsvorsitzender Klaus Holetschek die Veranstaltung. „Unseren Unternehmen fehlt es aktuell an Planbarkeit und Zuverlässigkeit.“ Mit wachsender Sorge beobachte die CSU-Fraktion die in großen Teilen wirtschaftsfeindliche Politik der Berliner Ampel-Koalition – längst schon befinde sich Deutschland in einem strukturellen Abstieg. „Gegen diesen Abwärtssog stemmen wir uns hier im Freistaat massiv“, betonte Holetschek.

Mangelnde Investitionsbereitschaft bei Unternehmen

Ein notwendiger Schritt – wie sich auch durch den Vortrag des Wirtschaftsexperten Prof. Fuest noch einmal bestätigte: „Seit Corona und der Energie-Krise verschlechtert sich die konjunkturelle Lage Deutschlands zunehmend. Seit 2023 ist sogar eine Schrumpfung der Wirtschaft zu beobachten“, so der ifo-Präsident. Betroffen seien insbesondere Teilbereiche der Industrie sowie – bedingt durch hohe Baukosten und enge Regularien – der Wohnungsbau.

„Die Tatsache, dass weniger Wohnungsbau stattfindet, ist ein großes Problem. Denn wirtschaftliches Wachstum ist auch davon abhängig, dass die Menschen in der Lage sind, umzuziehen“, so Fuest. Aktuell sei die in der Bevölkerung empfundene wirtschaftliche Unsicherheit so hoch wie nirgends sonst und ähnle dem Mentalitätsklima der britischen Bevölkerung kurz vor dem Brexit 2016. Zwar zeige sich die Inflation rückläufig und das Realeinkommen der Menschen stabilisiere sich – die Konsumfreude rege dies aber keineswegs an. „Die Bevölkerung spart. Und auch von Seiten der Unternehmen bleiben die Investitionen aus“, erklärte der ifo-Präsident.  

Strukturwandel erfasst auch bisherige Top-Branchen

Zurückzuführen sei diese mangelnde Investitionsbereitschaft auch auf die Befangenheit der Unternehmen in Bezug auf den Wirtschaftsstandort. „Deutschland ist mittlerweile ein schlechter Standort, weil wir viel teurer sind als vergleichbare Produktionsorte. Das sieht man auch anhand des Rückgangs energieintensiver Industrien, wie Chemie, Papier, Pappe oder Keramik. Diese hat ihre Produktion seit 2020 um 20 Prozent reduziert, was im Rahmen der Energiekrise zunächst erwünscht war. Mittlerweile stellt sich jedoch die Frage, wie diese Wertschöpfungslücke in Zukunft zu füllen ist.“

Auch die deutsche Automobilindustrie ist von diesem Strukturwandel betroffen – bisherige Wettbewerbsvorteile seien weggebrochen, die Wertschöpfung zeige sich auch hier rückläufig. „Wir wandeln uns von einem Überschussland zu einem Defizitland“, warnte Prof. Fuest. „Wichtige bayerische Exportbranchen sind im Begriff zu Verlierern zu werden.“ Notwendig sei es daher, den Strukturwandel anzunehmen und an Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen: „Gesundheit und Digitalisierung sind die Branchen der Zukunft.“ Zugleich spreche vieles dafür, dass die Automobilindustrie – das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft – in Zukunft an Bedeutung verlieren und schlicht zur „commodity“ werden könnte.

Deutschland – ein Arbeitnehmerland?


Ursächlich für die mangelnde Investitionsbereitschaft der Unternehmen sei jedoch auch die Ressourcenknappheit des deutschen Personalmarktes. Bedingt durch die Wachstumsbremse Demographie und die Arbeitskräfteknappheit sinke so auch das Produktionspotential der Wirtschaft in Deutschland. „Das Problem ist nicht nur die steigende Anzahl an Teilzeitbeschäftigungen, sondern insbesondere auch die Tatsache, dass sich Vollzeiterwerbstätigkeit – zumindest in gewissen Regionen und Einkommensspektren – nicht lohnt“, erläuterte Prof. Fuest. Der Wirtschaftsexperte skizzierte, dass sich die Annahme einer zweiten Vollzeitstelle bei einem Paar mit zwei Kindern und geringem bis mittlerem Einkommen zumindest in einer mietpreisintensiven Region wie München nicht lohne. „Der Abstand zum Bürgergeldbezug ist in dieser Einkommensregion zu gering. Es wird kein Anreiz zum Arbeiten geschaffen“, so der Experte.

Eine Auflösung dieser vielfältigen Herausforderungen sei letztlich nur durch eine langfristig ausgerichtete neue Angebotspolitik möglich – diese umfasse nicht nur private und öffentliche Investitionen, eine Steigerung des Arbeitsangebots mit besseren Erwerbsanreizen, eine Stärkung des EU-Binnenmarkts sowie eine breitere Aufstellung in Sachen Energieangebot, sondern zugleich auch eine gezielte Förderung von Spitzentechnologien. „Es geht nicht darum, das Rad neu zu erfinden, sondern darum, den Fokus auf Forschung und Entwicklung zu richten und neue Technologien möglichst rasch auszurollen. Insbesondere unser Mittelstand – einer unserer stärksten Bereiche – praktiziert das bereits seit langem erfolgreich“, so Prof. Fuest.

Mit Blick auf die Herausforderungen und wirtschaftspolitischen Probleme in Deutschland hat die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag einen 5-Punkte-Plan für Bayerns Wirtschaft verabschiedet. Die offene Fraktionssitzung mit ifo-Präsident Prof. Dr. Clemens Fuest hat einen weiteren Impuls für die Wirtschaft gegeben.

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