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08.10.2019

„Wir müssen mehr ökonomische Vernunft wagen“

Anstatt immer neue Verteildiskussionen zu führen, sollte die Politik sich wieder stärker darauf konzentrieren, mehr Innovationen, Beschäftigung und Wertschöpfung zu ermöglichen, argumentiert der CSU-Landtagsabgeordnete Thomas Huber.

Nach 15 Jahren fast stetigen Wirtschaftswachstums – abgesehen von einem Dämpfer im Jahr 2009 nach der Finanzkrise – sind die Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und leerer Sozialkassen vielfach vergessen. Die aktuelle Konjunkturdelle sollte uns daher zum Nachdenken anregen.

Die Lage ändert sich
Wir haben uns in Deutschland an eine starke Wirtschaft, steigende Gewinne und zunehmenden Wohlstand gewöhnt, der allerdings nicht überall gleichermaßen angekommen ist. Wir nehmen es viel zu oft für selbstverständlich, dass unsere Gesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren.  Zur Verdeutlichung: Die Arbeitslosigkeit hat sich von 11,7 Prozent im Jahr 2005 – im letzten Jahr der Rot-Grünen Bundesregierung – auf 5,2 Prozent im Jahr 2018 mehr als halbiert. Auch die deutsche Politik  hat sich an den großen Gestaltungsspielraum gewöhnt, den steigende Steuereinnahmen eröffnen – von jährlich 452 Milliarden Euro in 2005 auf mehr als 776 Milliarden Euro im Jahr 2018.

Doch die Lage hat sich verändert: Die deutsche Wirtschaft, die bisher den internationalen Unsicherheiten und der Finanzkrise erfolgreich getrotzt hat, spürt die globalen Verwerfungen von Brexit bis zum Handelsstreit zwischen den USA und China. Die Aufträge gehen zurück, allein in der deutschen Industrie im Juni um 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Glaubt man dem ifo-Geschäftsklimaindex, blicken deutsche Unternehmen weniger optimistisch in die Zukunft. Auch die Menschen in Deutschland spüren die Folgen bereits: Viele Unternehmen – aus nahezu allen Branchen mit Ausnahme der Bauindustrie – haben Stellenabbau angekündigt. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet einen Anstieg der Kurzarbeit. Auf der Hand liegt, dass dies mittelfristig auf die Haushalte von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen durchschlagen wird.

Panik ist deshalb noch lange nicht angebracht. Unsere soziale Marktwirtschaft hat mehrfach bewiesen, dass sie auch schwierige Zeiten meistern kann. Aber: Wir sollten die Gelegenheit nutzen, um unser „Geschäftsmodell“ fit für die Zukunft zu machen.

Zeichen der Nachhaltigkeit
Die aktuell dominierende Diskussion über Umwelt- und Klimaschutz hat ihre Berechtigung, sinnvolle Maßnahmen sind ohne Zweifel wichtig. Die CSU hat dazu ein umfangreiches Ideenpaket vorgelegt. Mit dem beschlossenen Atomausstieg und der zeitlichen Festlegung zum Kohleausstieg geht Deutschland auf dem ökologischen Weg voran und setzt ein weltweit einzigartiges Zeichen der Nachhaltigkeit.

Insgesamt müssen wir aber wieder zu mehr Ausgewogenheit in unserer politischen Themensetzung und der gesellschaftlichen Diskussion kommen. Das ist die Aufgabe und Kompetenz der deutschen Volksparteien. Wer nur die Preise für Mobilität, Wohnen und Heizen in die Höhe treibt, macht aus einer ökologischen schnell eine soziale Frage. Ideologisch aufgeladener Klimaschutz – ohne Rücksicht auf soziale Auswirkungen – hat mit verantwortungsvoller Politik nichts zu tun. Für die Union bedeutet das, auch die Standort-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zugleich in den Fokus zu nehmen. Das Fordern immer neuer Belastungen auf der einen Seite und das Verteilen immer  neuer „sozialer Wohltaten“ – Stichwort Rente mit 63 – auf der anderen Seite sind kein nachhaltiges Rezept für die Gestaltung unserer Zukunft. Wir müssen uns wieder stärker auf die Grundwerte unserer sozialen Marktwirtschaft besinnen und mehr ökonomische Vernunft wagen.

Das bedeutet zuerst, dass wir uns von Verteilungsdiskussionen – Hartz IV oder bedingungsloses Grundeinkommen, Soli für Reiche oder Vermögenssteuer – lösen und wieder mehr darüber diskutieren, wie wir Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und damit Wertschöpfung in Deutschland fördern können. Nur so können wir auf Dauer unseren breiten Wohlstand sichern.

Wir müssen individuelle Leistung wieder attraktiver machen, sie muss sich für jeden einzelnen auszahlen. Mit den zum 1. Juli 2019 in Kraft getretenen Änderungen bei der Einkommensteuer haben wir einen entschiedenen Schritt zur Bekämpfung der kalten Progression gemacht. Es geht aber auch darum, wieder mehr Optimismus und Gründergeist zu wecken! Neue Ideen dürfen nicht in einem Dickicht aus Vorschriften und Formblättern ersticken.

Flexibilität für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Wir müssen das Arbeitsrecht so modernisieren, dass auch in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung Jobs entstehen können. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Rechte für Beschäftigte eingeführt – vom Mindestlohn bis zur sogenannten Brückenteilzeit. Das sind wichtige und notwendige Errungenschaften. Das Bild des Arbeitgebers, der erst von oben zu ordentlichem Verhalten gegenüber seinen Beschäftigten angehalten werden muss, ist auch angesichts des Fachkräftemangels weitestgehend überholt. Wir dürfen Arbeitgeber nicht mit neuen wohlmeinenden, aber bürokratischen Pflichten bei Dokumentation, bei Zeiterfassung oder Lohnabrechnung überfrachten, sondern müssen wieder mehr Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulassen. So ist es essentiell, dass wir gerade bei den Themen Arbeitszeit und Arbeitsort mehr Spielräume öffnen, damit flexibler Personaleinsatz und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch gelebt werden können. Die gesetzlich geschützte Ruhe am Sonntag darf dabei natürlich nicht gefährdet werden. Eine weitere, generelle Einschränkung etwa der befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten wäre jedoch  gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten für viele Menschen problematisch, die auf der Suche nach einem Arbeitsplatz auf diese Brücke angewiesen sind.

Zum Thema Beschäftigungschancen gehört auch eine moderne berufliche Bildung. Nur so sind unsere Kinder auch die Fachkräfte von morgen. Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir zudem wichtige Weichen gestellt und den Zugang zur Weiterbildungsförderung für Beschäftigte verbreitert. In Bayern gehen wir mit der Einführung von Bildungsschecks für Beschäftigte zur digitalen Weiterbildung noch einen Schritt weiter.

Zukunftsfähigkeit und ökonomische Vernunft müssen in besonderer Weise auch in der Sozialpolitik wieder stärker zur Geltung kommen. Die Wahrheit ist: Wir werden angesichts der großen Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht alles Wünschenswerte umsetzen können. Daher sollten wir uns zielgerichtet auf die sozialen Kernthemen konzentrieren, die für die Menschen in Deutschland entscheidend sind.

Grundrente für die wirklich Bedürftigen
Das gilt beispielsweise für die Alterssicherung. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer gehen in Rente, zugleich müssen immer weniger Beitragszahler die steigenden Ausgaben tragen. Hier brauchen wir schnell zukunftsfähige Lösungen in müssen wir eine Übereinkunft erzielen, statt über eine milliardenschwere Grundrente, die nach Vorstellungen der SPD ohne den Nachweis von Bedürftigkeit auch an Millionäre ausbezahlt wird, zu diskutieren. Der im Koalitionsvertrag gefundene Konsens einer Grundrente mit Bedürfnisprüfung muss jetzt umgesetzt werden, um schnell und gezielt den Menschen zu helfen, die wirklich Unterstützung für ein würdevolles Leben im Alter benötigen.

Speziell bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit kommt es auf eine ganzheitliche Betreuung und Förderung der Betroffenen an. Hier sollten wir zielgerichtet Mittel einsetzen und nicht für einen großen sogenannten „sozialen“ Arbeitsmarkt, der den Menschen zwar zeitweise einen Arbeitseinsatz ermöglicht, aber viel zu oft nicht zu einer dauerhaften Beschäftigung führt.

Mehr Wohnraum statt Mietpreisbremse
Es gilt genauso für das Thema „Wohnen“. Mietpreisbremsen sind bestenfalls kurzfristige Symptombehandlungen. Der Vorschlag zur Enteignung von Wohnungsgesellschaften stammt aus der sozialistischen Mottenkiste. Vielmehr brauchen wir interdisziplinäre Lösungen: Bauen und Ausbauen erleichtern, mehr sozialen Wohnraum schaffen und erhalten, aber auch die Konzentration auf Ballungsräume aufbrechen und den ländlichen Raum durch schnelles Internet und eine bessere Verkehrsanbindung als Wohn- und Arbeitsort stärken. Auch die Schaffung von Infrastruktur ist Sozialpolitik!

Das sind nur wenige Beispiele für die anstehenden Aufgaben. Aber nur durch die Fokussierung und einen vernetzten Politikansatz können wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen – um bei einer weiteren Konjunkturabschwächung mit Instrumenten wie der Kurzarbeit Jobs zu sichern. Dann besteht auch im Falle einer länger dauernden Wirtschaftsflaute Raum für umfassende Investitionen in Infrastruktur, Schulen und Breitband, wie es der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, vorgeschlagen hat.

Politik gegen die Populisten
Sicherheit im Alter, Perspektiven in strukturschwächeren Gebieten, leistbares Wohnen und gute Bildung – viele dieser Fragen beschäftigen die Menschen in Deutschland. Sie sind verunsichert und erwarten zu Recht, dass die Politik ihre Sorgen ernst nimmt und entschieden handelt. Gelingt es den Volksparteien wieder besser Antworten auf die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger zu geben und sie bei den Entscheidungen mitzunehmen, haben auch politische Rattenfänger erheblich schlechtere Karten.

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