Gerhard Hopp, Petra Guttenberger, Alexander König, Tobias Reiß, Winfried Bausback, Alex Dorow, Karl Freller, Johannes Hintersberger, Stephan Oetzinger, Josef Schmid, Karl Straub, Walter Taubeneder, Florian Streibl, Fabian Mehring, Tobias Gotthardt, Peter Bauer, Manfred Eibl, Susann Enders, Hubert Faltermeier, Hans Friedl, Eva Gottstein, Wolfgang Hauber, Johann Häusler, Leopold Herz, Alexander Hold, Nikolaus Kraus, Rainer Ludwig, Gerald Pittner, Bernhard Pohl, Kerstin Radler, Robert Riedl, Gabi Schmidt, Jutta Widmann, Benno Zierer
Der Landtag stellt fest, dass gegen den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übertragung von Verfahren in Strafsachen, COM (2023) 185, BR-Drs. 175/23, Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsbedenken bestehen.
Der Landtag schließt sich damit der Auffassung der Staatsregierung an und lehnt den Verordnungsvorschlag ab.
Die Staatsregierung wird aufgefordert, bei den Beratungen des Bundesrates auf die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsbedenken hinzuweisen. Sie wird ferner aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass diese Bedenken Eingang in den Beschluss des Bundesrates finden.
Im Einzelnen:
Der Landtag unterstreicht die Bedeutung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auch bei der Strafverfolgung. Denn die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen, bedarf gemeinsamer Bemühungen. Hier wurde in den vergangenen bereits viel erreicht.
Für den vorliegenden Verordnungsvorschlag fehlt es jedoch an einer Rechtsgrundlage in den Europäischen Verträgen. Er kann nicht vollumfänglich auf die von der Kommission angegebene Rechtsgrundlage des Art. 82 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b und d AEUV gestützt werden.
- In Art. 3 des Verordnungsvorschlags sind Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit und zum Strafanwendungsrecht vorgesehen. Dort wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die nationalen Gerichte bestimmte Sachverhalte aburteilen können und müssen. Dabei handelt es sich nicht um an sich sinnvolle Regelungen, um Kompetenzkonflikte in der europäischen Strafverfolgung abzubauen oder die justizielle Zusammenarbeit zu erleichtert. Vielmehr handelt es sich um eine Regelung, die in die nationalen Rechtsordnungen eingreift und an den nationalen Gesetzgebern vorbei gerichtliche Zuständigkeiten selbst schaffen will - denn als Verordnung würden sie unmittelbar geltendes Recht. Dies ist in Art. 82 Abs. 1 AEUV nicht vorgesehen.
- Darüber hinaus sieht Art. 4 des Verordnungsvorschlags Einstellungs- oder Aussetzungsmöglichkeiten für Strafverfahren vor, wenn ein Ersuchen um Übertragung des Strafverfahrens gestellt werden soll. Darüber hinaus enthält Art. 20 des Verordnungsvorschlags neue Regelungen zur Verjährungsunterbrechung und zur Verwertbarkeit von Beweismitteln für den Fall der Übernahme des Strafverfahrens durch den ersuchten Staat. Solche tiefen Eingriffe in nationale Regelungen des Strafverfolgungsrechts sind in Art. 82 Abs. 1 AEUV nicht vorgesehen, insbesondere nicht in Art. 82 Abs. 1 Buchstaben a) und d) AEUV.
- Außerdem missachtet der Verordnungsvorschlag deutsche Rechtstraditionen: In Deutschland gilt das Legalitätsprinzip, also die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bei dem Anfangsverdacht einer Straftat ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen. In diese Rechtstradition würde empfindlich eingegriffen, wenn wie in Art. 4 des Vorschlags europarechtlich Einstellungs- und Aussetzungsregelungen verankert würden. Dies verstößt gegen Art. 82 Abs. 2 AEUV, der ausdrücklich vorschreibt, dass die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten respektiert werden müssen.
- Im Übrigen bietet Art. 82 Abs. 2 AEUV keine Grundlage für den Erlass einer Verordnung. Eine weitgehende Harmonisierung des Strafanwendungs- und des Strafverfahrensrechts, wie es der vorliegende Vorschlag bezweckt, kann und soll nicht erzwungen werden. In diesem Bereich stehen der Europäischen Kommission deswegen keine Kompetenzen zu einer solchen Harmonisierung zu: Gemäß Art. 82 Abs. 2 AEUV kann die Europäische Union nur im Rahmen von Richtlinien Mindestvorschriften erlassen, soweit diese zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich sind.
Daher verletzt der Verordnungsvorschlag das Subsidiaritätsprinzip.
Der Beschluss des Bayerischen Landtags wird unmittelbar an die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, den Ausschuss der Regionen und den Deutschen Bundestag sowie an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments für Bayern übermittelt.