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Kinderschutz in Bayern weiterentwickeln - Kindeswohl noch stärker in den Blick nehmen

19.06.2020 - Antrag | 18/8946

Initiatoren:
Thomas Huber, Tanja Schorer-Dremel, Petra Guttenberger, Bernhard Seidenath, Winfried Bausback, Tobias Reiß, Barbara Becker, Alfons Brandl, Matthias Enghuber, Karl Freller, Petra Högl, Marcel Huber, Andreas Jäckel, Jochen Kohler, Beate Merk, Martin Mittag, Stephan Oetzinger, Helmut Radlmeier, Franz Rieger, Andreas Schalk, Josef Schmid, Sylvia Stierstorfer, Karl Straub, Walter Taubeneder, Florian Streibl, Fabian Mehring, Susann Enders, Johann Häusler, Gabi Schmidt, Peter Bauer, Manfred Eibl, Hubert Faltermeier, Hans Friedl, Tobias Gotthardt, Eva Gottstein, Joachim Hanisch, Wolfgang Hauber, Leopold Herz, Alexander Hold, Nikolaus Kraus, Rainer Ludwig, Gerald Pittner, Bernhard Pohl, Kerstin Radler, Jutta Widmann, Benno Zierer

Gerade in Zeiten besonderer Belastung wie in der Corona-Pandemie zeigt sich, wie wichtig Hilfe- und Unterstützungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe für Familien und ihre Kinder sind. Im Rahmen des Bayerischen Gesamtkonzeptes zum Kinderschutz unterstützt die Staatsregierung die Praxis bei der Sicherstellung zielgerichteter Hilfen zur Stärkung von Familien vor allem in belastenden Lebenssituationen. Die Staatsregierung wird aufgefordert, sich weiterhin im Rahmen der vorhandenen Stellen und Mittel für die bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Bayerischen Gesamtkonzepts zum Kinderschutz einzusetzen und dabei insbesondere aufbauend auf den bestehenden und bewährten Strukturen Anpassungen zu prüfen, die sich aus den Erfahrungen der Corona-Krise ergeben.


Aus Sicht des Landtags sind dabei insbesondere folgende Gesichtspunkte wichtig:



  • Kinder und Jugendliche erreichen


Für einen effektiven Kinderschutz ist entscheidend, dass vor allem die Kinder und Jugendlichen selbst gestärkt werden und ausreichende Kenntnis über vorhandene Anlauf- und Beratungsstrukturen haben und bei Bedarf frühzeitig Beratung und Hilfe bekommen. Der Landtag bittet die Staatsregierung, gemeinsam mit allen Akteuren zu prüfen, wie die gesamte Gesellschaft noch weiter sensibilisiert und aufgeklärt werden kann und Kinder und Jugendliche so selbst den Weg zu notwendiger Unterstützung für sich und ihre Familien leichter finden können.


Kinder und Jugendliche verfügen schon früh über beachtliche Medienkompetenzen, weshalb digitale Zugangswege (z. B. spezielle App) verstärkt entwickelt werden sollen.


Zugleich sind die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit an Schulen und der Schulsozialarbeit wichtige Ansprechpartnerinnen und -partner. Die Jugendsozialarbeit an Schulen und die Schulsozialpädagogik sollen im Rahmen der in den jeweiligen Haushalten vorhandenen Mitteln und Stellen an allen Schularten weiter gestärkt werden.


 


 



  • Unterstützung von Familien und Stärkung der Elternkompetenz gerade in belastenden Lebenssituationen:


Das Bayerische Gesamtkonzept zum Kinderschutz legt im Sinne der effektiven Prävention einen besonderen Schwerpunkt auf die Unterstützung von Eltern, insbesondere, wenn sie sich in belastenden Lebenssituationen befinden. So stehen in Bayern Familien und ihren Kindern durch die Unterstützung und Förderung des StMAS flächendeckend rd. 180 Erziehungsberatungsstellen (einschließlich Nebenstellen und Außensprechstunden) und über 120 KoKi-Netzwerke frühe Kindheit (Koordinierende Kinderschutzstellen) zur Verfügung.


Gerade die Corona-Krise war und ist für viele Familien eine große Herausforderung, die sozial und ökonomisch in vielen Familien noch länger nachwirken wird. Daher ist es wichtig, gemeinsam mit den Kommunen und Trägern diese Strukturen weiter zu stärken und dem steigenden Bedarf entsprechend aufzustellen und anzupassen, um eine gute und gesunde Entwicklung der Kinder sicherzustellen und insgesamt Kindeswohlgefährdungen zu vermeiden. Die entsprechenden Förderprogramme des Freistaats müssen im Rahmen der jeweils vorhandenen Mittel und Stellen dazu beitragen. Dabei kommen den aufsuchenden Angeboten und der Vernetzung etwa mit Kindertagesstätten, Schulen und Kliniken eine hohe Priorität zu, um betroffene Kinder und ihre Eltern schnell und niedrigschwellig zu erreichen. Insgesamt gilt es, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen noch stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Kindern, Jugendlichen und ihren Familien muss es so leicht wie möglich gemacht werden, Hilfe in Anspruch zu nehmen.


 



  • Psychosoziale Situation der Familien besonders in den Blick nehmen und bei Problemlagen frühzeitig unterstützen


Studien belegen die Folgeschäden früher psychosozialer Belastungen für die körperliche und seelische Gesundheit, welche sich zum Teil über die gesamte Lebensspanne hinweg auswirken. Die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Belastungssituationen betreffen vor allem auch junge Familien.


Nahezu alle Familien mit Säuglingen werden im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen (-U-Untersuchungen-) in den Kinderarztpraxen gesehen, so dass die niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzte über einen frühen und regelmäßigen Zugang zu jungen Familien verfügen und psychosoziale Belastungen und Hilfebedarfe frühzeitig erkennen und passgenaue Unterstützungsmaßnahmen vermitteln können. Ziel muss es sein, Belastungsfaktoren ganz früh zu erkennen und durch gute Kooperation von Kinderärzten und Jugendhilfe rechtzeitige Unterstützung für Familien durch die Jugendhilfe sicherzustellen. Mit Unterstützung der Staatsregierung wurde von der TU München u.a. dazu der -Pädiatrische Anhaltsbogen zur Einschätzung von psychosozialem Unterstützungsbedarf- als passgenaues Erhebungsinstrument entwickelt. Dieses -Frühwarnsystem- soll insbesondere zur Erhebung des psychosozialen Unterstützungsbedarfs von jungen Familien während der Corona-Pandemie noch stärker genutzt werden.


 



  • Kultur des Hinsehens fördern und Handlungssicherheit stärken


Bei der Sicherstellung der Rechte und des Schutzes von Kindern und Jugendlichen und damit kein Signal verloren geht, ist die Kinder- und Jugendhilfe auf Kooperation aller, die mit Kindern zu tun haben (insb. Gesundheitsbereich, Frühförderung, Schule, Polizei, Justiz, Frauenhäuser), angewiesen. Damit diese Zusammenarbeit funktioniert, müssen die jeweiligen Fachkräfte entsprechend sensibilisiert und für die interdisziplinäre Kinderschutzarbeit qualifiziert sein. Handlungssicherheit entsteht neben klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen vor allem auch durch eine kompetente Beratung, an die sich die Fachkräfte in Verdachtsfällen wenden können, um Hilfe zu erhalten.


Zentraler Aspekt im Rahmen des Bayerischen Gesamtkonzepts zum Kinderschutz ist daher auch die Schaffung von Handlungssicherheit im Bereich interdisziplinärer Kooperation (Maßnahmen zur interdisziplinären Sensibilisierung und Qualifizierung). In diesem Zusammenhang fördert und unterstützt der Freistaat die Bayerische Kinderschutzambulanz (BKSA) als landesweites Kompetenzzentrum im Kinderschutz beim Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München und schließt damit eine wichtige Lücke an der Schnittstelle von Jugendhilfe und Gesundheitsbereich. Zur weiteren Optimierung des Kinderschutzes an dieser Schnittstelle müssen vor allem bundesgesetzliche Schutzlücken geschlossen werden (Handlungssicherheit durch Handlungsklarheit, z.B. Klarstellung einer Handlungspflicht in § 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz, wenn dies zur Sicherstellung des Kindeswohls erforderlich ist) und rechtskreisübergreifende ganzheitliche Hilfen (z.B. für Familien mit psychischen Erkrankungen) sichergestellt werden. Die Staatsregierung wird gebeten, sich hierfür weiterhin im Rahmen der anstehenden SGB VIII-Reform auf Bundesebene einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist auch die Aufforderung an alle betroffenen Stellen wichtig, rechtzeitig nicht nur die Jugendämter, sondern gegebenenfalls auch Polizei und Staatsanwaltschaft einzuschalten.


Darüber hinaus müssen insbesondere auch die Fachkräfte der Jugendhilfe in den Jugendämtern, in Kindertageseinrichtungen, der Tagespflege, der Jugendarbeit etc., Lehrkräfte und Personen, die in Sportvereinen ehrenamtlich tätig sind kontinuierlich sensibilisiert und qualifiziert werden. Aber auch die gesamte Gesellschaft ist gefordert, Gefährdungssignale ernst zu nehmen.



Das in Bayern gemeinsam mit der Praxis entwickelte und umgesetzte Bayerische Gesamtkonzept zum Kinderschutz hat sich auch in der Corona-Krise bewährt. Vielfältige Maßnahmen von präventiven Frühen Hilfen bis hin zum konsequenten Vollzug des staatlichen Wächteramtes fügen sich in Bayern zu einem abgestimmten Gesamtkonzept zum Kinderschutz zusammen, das in enger systemübergreifender Abstimmung mit der Fachpraxis kontinuierlich und bedarfsgerecht weiterzuentwickeln ist.


Mit dem Bayerischen Gesamtkonzept zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor körperlicher, sexualisierter und seelischer Gewalt sowie Vernachlässigung unterstützt die Bayerische Staatsregierung insbesondere die Kommunen und die Praxis bei der Sicherstellung eines effektiven Kinderschutzes. Zentrale Aspekte sind Sensibilisierung, Prävention, insbesondere durch Stärkung von Kindern und ihren Familien in belastenden Lebenssituationen, sowie die Förderung interdisziplinärer Kinderschutzarbeit und Schaffung von Handlungssicherheit im Bereich interdisziplinärer Kooperation. Um Risiken für Kindesmisshandlung sowie Vernachlässigung möglichst frühzeitig zu erkennen und sog. Risikofamilien frühzeitig unterstützen zu können, gibt es in Bayern mit Unterstützung der Staatsregierung flächendeckend Koordinierende Kinderschutzstellen (KoKi-Netzwerk frühe Kindheit), die die regionalen interdisziplinären Angebote im Bereich Früher Hilfen bündeln und das Netzwerk weiterentwickeln. Bayern übernimmt dabei eine bundesweite Vorreiterrolle. So wurde z.B. das bayerische KoKi-Konzept vollumfänglich im Bundeskinderschutzgesetz verankert. Ferner stehen mit Unterstützung der Staatsregierung Kindern und ihren Familien flächendeckend in ganz Bayern Angebote der Erziehungsberatungsstellen zur Verfügung. Diese bieten auch über die frühe Kindheit hinaus für alle Lebensphasen Beratung und Unterstützung an. Etwa 65.000 Familien werden in Bayern jährlich durch eine Erziehungsberatungsstelle beraten und unterstützt. Zusätzlich fördert und unterstützt der Freistaat seit 2011 die Bayerische Kinderschutzambulanz (BKSA) als landesweites Kompetenzzentrum im Kinderschutz. Ihre zentrale Aufgabe ist die fundierte Beratung von Ärztinnen, Ärzten und Fachkräften der Jugendämter bei Verdacht auf Kindesmisshandlung (Beratung v.a. hinsichtlich des Vorliegens sexueller und körperlicher Gewalt) sowie die Schaffung von Handlungssicherheit im Umgang mit möglichen Kindeswohlgefährdungen im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit (Fokus: Zusammenarbeit Gesundheitsbereich mit Jugendhilfe). Damit Ärztinnen und Ärzte zusätzliche Handlungssicherheit erlangen, bietet der Freistaat Bayern seit Oktober 2019 auch ein umfassendes und von der Bayerischen Landesärztekammer zertifiziertes E-Learning-Angebot zum Kinderschutz an. Die Online-Fortbildung wurde auf Grundlage des Ärzteleitfadens des StMAS gemeinsam mit der Bayerischen Kinderschutzambulanz sowie weiteren Experten aus dem medizinischen Bereich erstellt und wird von der -FortbildungsAkademie im Netz- umgesetzt.


Gerade in Zeiten besonderer Belastung wie in der Corona-Krise sind die Hilfe- und Unterstützungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe für Kinder und ihre Familien wichtiger denn je. Die Fachkräfte der Jugendhilfe haben sich pragmatisch und professionell auf die Situation eingestellt und nehmen ihre Aufgaben sehr verantwortungsvoll wahr, so dass die Familien auch weiterhin die Hilfen bekommen, die sie brauchen. Allerdings müssen die psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie genau beobachtet und frühzeitig passgenaue Hilfen bei Bedarf sichergestellt bzw. weiterentwickelt werden, um eine gute und gesunde Entwicklung der Kinder sicherzustellen und Kindeswohlgefährdungen zu vermeiden. Die Belastungen nahmen und nehmen für die Familien zu. Daher muss das Kinderschutznetz in Bayern aufbauend auf den vorhandenen Strukturen laufend weiterentwickelt werden. Kinderschutz ist dabei mehr als die Prävention von Gewalt und die notwendige Intervention. Kindern und Jugendlichen müssen wir als Gesellschaft bei sozialen Schwierigkeiten effektiv helfen, Vernachlässigung und Gewalt verhindern. Es geht darum, frühzeitig Unterstützungsbedarfe zu erkennen und dabei zu helfen, rechtzeitig die Weichen für das ganze Leben richtig zu stellen.

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