Thomas Huber, Winfried Bausback, Tanja Schorer-Dremel, Matthias Enghuber, Petra Högl, Andreas Jäckel, Jochen Kohler, Franz Rieger, Andreas Schalk, Sylvia Stierstorfer, Florian Streibl, Fabian Mehring, Susann Enders, Gabi Schmidt, Peter Bauer, Manfred Eibl, Hubert Faltermeier, Hans Friedl, Tobias Gotthardt, Eva Gottstein, Wolfgang Hauber, Johann Häusler, Leopold Herz, Alexander Hold, Nikolaus Kraus, Rainer Ludwig, Gerald Pittner, Bernhard Pohl, Kerstin Radler, Robert Riedl, Jutta Widmann, Benno Zierer
Die Staatsregierung wird aufgefordert, darüber zu berichten, wie im Rahmen vorhandener Stellen und Mittel das Leid von Verschickungskindern anerkannt, aufgearbeitet und sichtbar gemacht werden kann.
Dazu sollen insbesondere
- Möglichkeiten des Aufbaus bzw. der Förderung bedarfsorientierter Unterstützungsinfrastrukturen (wie zum Beispiel Anlauf- und Beratungsstellen oder therapeutische Hilfsangebote) für Verschickungskinder geprüft werden,
- die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Aufarbeitung durch geeignete Maßnahmen wie Forschungsstipendien oder Fachsymposien geprüft werden,
- die Recherchearbeit von Betroffenen und deren Organisationen unterstützt und in diesem Sinne auf die Öffnung aller relevanten Archive hingewirkt werden,
- im persönlichen Austausch mit ehemaligen Trägern bzw. deren Rechtsnachfolgern die aktive Aufarbeitung ihrer Verschickungsheimgeschichte eingefordert und für eine kooperative Haltung und Zusammenarbeit geworben werden,
- auf eine strukturelle Einbeziehung des Freistaats in die Aufklärungsarbeit des Bundes hingewirkt und die Umsetzung der durch die JFMK beschlossene Aufklärung auf Bundesebene eingefordert werden.
Dabei müssen Transparenz, Offenheit und unabhängige Aufklärung die Maßstäbe der Aufarbeitung für die Situation der damals betroffenen Kinder und Jugendlichen sein. Alle relevanten Akteure und Betroffenen sowie (mit-)verantwortlichen Träger und Stellen sollen sich einbringen und zur zielgerichteten Aufklärung und Bewältigung beitragen.
Millionen Menschen in Deutschland sind ehemalige Verschickungskinder. Jedes von ihnen wurde im Zeitraum zwischen den 1950er- bis in die 1990er Jahre zur vermeintlichen Erholung, Heilung oder als erzieherische Maßnahme den dafür vorgesehenen (Kinderkur-) Heimen und Einrichtungen anvertraut. Während der Aufenthalt dem Wohl des Kindes dienen sollte, war die Realität oft eine andere. Fernab von zu Hause und getrennt von den Eltern wurden junge Menschen Opfer schwarzer Pädagogik. Sie waren systematisch physischer und psychischer Gewalt ausgeliefert. Das System der Kinderverschickung galt bei Trägern und Einrichtungen schnell als wirtschaftliches Erfolgsmodell. An den Folgen der verstörenden Erfahrungen leiden viele Betroffene noch Jahrzehnte später.
Das Leid, das Schicksal und die Geschichte von Verschickungskindern waren lange im kollektiven Gedächtnis unseres Landes verschüttet und blieben folglich ohne Anerkennung und Aufarbeitung. Es ist dem Engagement und der Vernetzung der Betroffenen zu verdanken, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung neue Dynamik und mediale Beachtung gefunden hat. Durch Erlebnisberichte wissen wir heute in Ansätzen, was sich damals abgespielt und zugetragen hat. Bislang haben sich Betroffene vor allem in Selbsthilfegruppen organisiert. Sie wollen gemeinsam aufarbeiten und bewältigen, was jedem von ihnen widerfahren ist. Vereine befassen sich auf Ebene der Bundesländer und des Bundes mit der Thematik und dessen Aufarbeitung bzw. Bewältigung.
Vor diesem Hintergrund hat die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) das Thema im Mai 2020 aufgegriffen und beraten. Im Ergebnis wurde der Bund damit beauftragt, Licht in dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte im Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu bringen.
Ergänzend zum Engagement des Bundes liegt es aber auch in der Verantwortung der Länder, sich dem Schicksal der Verschickungskinder verstärkt zuzuwenden. Mehr noch: Es bedarf konkreter Schritte der Unterstützung, um überfällige Anerkennung, Aufarbeitung und Sichtbarmachung in ganz Deutschland voranbringen zu können. Das koordinierte Zusammenwirken aller Ebenen ist ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung der Betroffenen und im Sinne weiterer Sensibilisierung für das Thema sowie notwendiger Vernetzung.