Petra Guttenberger, Thomas Huber, Manfred Ländner, Tanja Schorer-Dremel, Tobias Reiß, Holger Dremel, Norbert Dünkel, Matthias Enghuber, Max Gibis, Alfred Grob, Petra Högl, Andreas Jäckel, Jochen Kohler, Stephan Oetzinger, Franz Rieger, Andreas Schalk, Josef Schmid, Sylvia Stierstorfer, Karl Straub, Walter Taubeneder, Peter Tomaschko, Florian Streibl, Fabian Mehring, Wolfgang Hauber, Hubert Faltermeier, Susann Enders, Gabi Schmidt, Peter Bauer, Manfred Eibl, Hans Friedl, Tobias Gotthardt, Eva Gottstein, Johann Häusler, Leopold Herz, Alexander Hold, Nikolaus Kraus, Rainer Ludwig, Gerald Pittner, Bernhard Pohl, Kerstin Radler, Robert Riedl, Jutta Widmann, Benno Zierer
Der Bayerische Landtag verurteilt (sexualisierte) Gewalt an Kindern und Jugendlichen sowie die Herstellung und Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen auf das Schärfste.
Die Staatsregierung wird deshalb aufgefordert, sich weiterhin auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Verkehrsdatenspeicherung in dem vom EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung vorgesehenen Rahmen umgesetzt wird, um so die Speicherung von IP-Adressen zu realisieren. Ziel ist es, den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf die IP-Adressen insbesondere in besonders dringlichen und schwerwiegenden Fällen, beispielsweise bei der Bekämpfung der Kinderpornografie und von Kindesmissbrauch, oder von Hasskriminalität mit rechtsextremistischen Morddrohungen, zu ermöglichen.
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2020 werden täglich im Durchschnitt 46 Fälle des sexuellen Missbrauchs an Kindern in Deutschland angezeigt, was einen Zuwachs von 6,8 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Dabei handelt es sich allerdings nur um das so genannte Hellfeld, also der Anzahl der bei der Polizei erfassten Straftaten. Die Dunkelzi-er dürfte deutlich höher liegen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz schätzte das Dunkelfeld beim sexuellen Missbrauch im Jahr 2018 achtmal so groß ein, wie die der Justiz bekannt gewordenen Fälle. Die Zahl der gemeldeten Fälle des Besitzes, der Herstellung und der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen von Kindern und Jugendlichen ist bundesweit im Jahr 2020 um 53% gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Kinder und Jugendliche müssen auch in der digitalen Welt massive Gewalt erleben. Zu essenziellen Maßnahmen zum besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt (Kindesmissbrauch, Kinderpornografie) gehört neben der Prävention die stetige Verbesserung der Ermittlungsmöglichkeiten für die Strafverfolgungsbehörden. Die Möglichkeiten des Internets dürfen keinen rechtsfreien Raum bieten, schon gar nicht in diesen Bereichen der Schwerstkriminalität. Im digitalen Zeitalter ist eine wirksame Verkehrsdatenspeicherung unverzichtbar.
Ermittlungen scheitern derzeit nach wie vor häufig daran, dass die Verkehrsdaten je nach Anbieter nur kurzfristig (bis zu 7 Tage) gespeichert werden und damit zum Zeitpunkt einer behördlichen Anfrage nicht mehr zur Verfügung stehen. Dabei ist auch zu sehen, dass die relevanten Sachverhalte den Ermittlern in einer Vielzahl von Fällen häufig erst nach Ablauf der 7-tägigen Speicherdauer bekannt werden oder notwendige Vormittlungen (wie Rechtshilfeersuchen) nötig sind, die praktisch unvermeidbar zu zeitlichen Verzögerungen führen.
Die Verkehrsdaten, insbesondere die IP-Adresse, stellen einen wichtigen und oftmals sogar den einzigen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz dar. So kann zum Beispiel der zuständige Internetanbieter anhand der dynamischen IP-Adresse (und ggf. Portnummer), die bei der Tat benutzt wird, und der Uhrzeit ihrer Nutzung - auf eine entsprechende Anfrage der Ermittlungsbehörden hin - in der Regel feststellen, welchem seiner Kunden diese Adresse vorübergehend zugeteilt worden war. Diese Zuordnung der IP-Adresse zu einem konkreten Nutzer kann allerdings nur gelingen, wenn die dafür benötigten Verkehrsdaten noch beim Internetanbieter gespeichert sind.
Infolge der sogenannten Tele2-Entscheidung des EuGH vom 21. Dezember 2016 ist die im Bundesrecht (§§ 113a ff. TKG) geregelte Verkehrsdatenspeicherung von 10 Wochen jedoch durch Erklärung der Bundesnetzagentur faktisch ausgesetzt.
Mit Entscheidung vom 6. Oktober 2020 hat der EuGH jedoch festgestellt, dass die Verkehrsdatenspeicherung unter engen Voraussetzungen möglich ist. In Fällen einer nachweislich tatsächlich und gegenwärtig bestehenden oder vorhersehbaren Bedrohung der nationalen Sicherheit sei eine Ausnahme zur allgemeinen und unterschiedslosen Datenspeicherung für eine begrenzte Zeitspanne möglich. Auch für die Bekämpfung von schwerer Kriminalität und die Vorbeugung vor ernsthaften Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit könne eine gezielte Speicherung vorgesehen werden. Ferner können unter bestimmten Voraussetzungen die Diensteanbieter verpflichtet werden, die in ihrem Besitz befindlichen Verkehrs- und Standortdaten länger zu speichern.
Ebenso stehe es den Mitgliedstaaten offen, eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit vorzusehen, wenn insbesondere die Speicherdauer begrenzt und die Speicherung auf das absolut erforderliche Maß begrenzt sei.
Diese Spielräume sind auf nationaler Ebene in vollem Umfang auszureizen. Insbesondere soll der Bund dafür Sorge tragen, dass die Speicherung der für die Ermittlungspraxis besonders wichtigen IP-Adressen umgesetzt wird, soweit dies auf Grundlage der bereits bestehenden Regelungen unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGHs möglich ist. Im Übrigen soll er auch die weiteren Spielräume nutzen, die der EuGH in seinen Entscheidungen vom 6. Oktober 2020 gelassen hat. Zu denken ist dabei etwa an eine Verlängerung der Höchstspeicherfristen für IP-Adressen gemäß § 113 b Abs. 1 TKG von bisher 10 Wochen auf 6 Monate und eine Erweiterung des Kataloges der zu speichernden Daten um die sog. -Port-Adressen-. Eine gesetzlich verankerte Speicherung dieser Port-Nummern ist als notwendige Ergänzung zur Speicherung von IP-Adressen notwendig, da eine IP-Adresse heute - aufgrund der begrenzten Zahl verfügbarer IP-Adressen - häufig von mehreren, mitunter viele tausend Nutzer gleichzeitig genutzt wird, so dass eine Zuordnung zu einem konkreten Nutzer nur anhand der vom Provider intern vergebenen Unteradressen, der sog. Portnummern, möglich ist.
Sobald der EuGH auch über das deutsche Vorlageverfahren abschließend entschieden hat, sollte die Bundesregierung in einem zweiten Schritt sämtliche rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und ein tragfähiges Gesamtkonzept für eine sachgerechte Vorratsdatenspeicherung vorlegen, dessen maßgebliche Bestandteile (z.B. Datenkategorien, verpflichtete Anbieter, Speicherfristen) einheitlich auf EU-Ebene geregelt sein sollten. Hierbei sind auch die vom EuGH aufgezeigten Möglichkeiten, wie eine Speicherpflicht bei akuten Bedrohungslagen, wie z.B. Terrorismus oder regional begrenzte Speicherpflichten, zu prüfen.