Gerhard Hopp, Martin Schöffel, Alexander König, Tanja Schorer-Dremel, Winfried Bausback, Alfons Brandl, Alex Dorow, Wolfgang Fackler, Alexander Flierl, Karl Freller, Petra Högl, Franz Rieger, Thorsten Schwab, Klaus Steiner, Florian Streibl, Fabian Mehring, Tobias Gotthardt, Peter Bauer, Manfred Eibl, Susann Enders, Hubert Faltermeier, Hans Friedl, Eva Gottstein, Wolfgang Hauber, Johann Häusler, Leopold Herz, Alexander Hold, Nikolaus Kraus, Rainer Ludwig, Gerald Pittner, Bernhard Pohl, Kerstin Radler, Robert Riedl, Gabi Schmidt, Jutta Widmann, Benno Zierer
Der Landtag stellt fest, dass gegen den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) und der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien; COM (2022) 156 final; BR-Drs. 176/22, Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsbedenken bestehen.
Der Landtag schließt sich damit der Auffassung der Staatsregierung an.
Die Staatsregierung wird aufgefordert, bei den Beratungen des Bundesrates auf die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsbedenken hinzuweisen. Sie wird ferner aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass diese Bedenken Eingang in den Beschluss des Bundesrates finden.
Im Einzelnen:
Der Landtag unterstützt die mit dem Vorschlag verfolgten Ziele, einen besseren Schutz vor schädlichen Auswirkungen des Betriebs von Agrar- und Industrieanlagen zu erreichen, vor allem durch technologischen Wandel. Allerdings verletzt der Vorschlag das Subsidiaritätsprinzip.
Nach Art. 4 Abs. 2 lit. e) AEUV liegt im Hauptbereich -Umwelt- eine geteilte Zuständigkeit vor, sodass es der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bedarf. Die Auswirkungen von Umweltverschmutzung bleiben meist nicht regional beschränkt - eine grenzüberschreitende Wirkung ist möglich. Zudem stellen Umweltschutzanforderungen einen nicht unerheblichen Kostenfaktor der Industrieproduktion dar. Würden Industrieanlagen innerhalb Europas nur nationalen und damit unterschiedlichen Anforderungsniveaus unterliegen, so wären nachteilige Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten. Aus diesen Gründen scheint eine europaweite Regelung im Grundsatz wünschenswert. Demgegenüber ist aber die vorgesehene Regelung des Art. 79a Abs. 4 der Industrieemissionsrichtlinie, in der ein Schadensersatzanspruch gegenüber Behörden mit einer Beweislastumkehr zugunsten des Anspruchstellers festgeschrieben werden soll, im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip abzulehnen. Der Europäischen Union kommt nicht die Kompetenz zu, solches zu regeln. Vorschriften zur Beweislastumkehr zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zählen zum Prozessrecht, das wiederum zur Rechtspflege eines Mitgliedstaats gehört. Eine europäische Rechtsetzungskompetenz ist hier nicht gegeben.
Außerdem verstößt der vorliegende Vorschlag gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:
- Die vorgeschlagene Neufassung der Industrieemissionsrichtlinie sieht erstmals verbindliche Vorgaben für die effiziente Ressourcennutzung bei industriellen Tätigkeiten vor. Dies stellt einen deutlichen Eingriff in die operative Unternehmensführung dar. Hinzu kommt, dass mit der Pflicht zur Erstellung eines Transformationsplans und dessen Veröffentlichung zusammen mit dem nun ebenfalls verpflichtenden Umweltmanagementsystem im Internet die Gefahr der Offenlegung strategischer Unternehmensplanungen einhergeht. Diese Eingriffe sind unverhältnismäßig.
- Durch die deutliche Absenkung der Schwellenwerte in der Tierhaltung (150 GVE) und die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf die Rinderhaltung wird eine Vielzahl der kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Betriebe einem deutlich steigenden Verwaltungs- und Überwachungsnotwendigkeiten unterworfen. Insgesamt ist ein deutliches Mehr an Bürokratie zu erwarten, das in keinem Verhältnis zum erwartbaren Nutzen steht.
- Die Orientierung von Emissionsgrenzwerten am unteren Ende der BAT-AEL würde zu einem sprunghaften Nachrüstungs- und Modernisierungsbedarf führen, der die Betriebe überfordern würde und damit ebenfalls unverhältnismäßig ist.
- Zuletzt könnte die Einführung eines eigens normierten Schadensersatzanspruchs, wie in Art. 79a vorgesehen, zu einer deutlich steigenden Klagelast führen, verstärkt noch durch die geplante Beweislastumkehr und die Zulassung von Popularklagen. In Konsequenz könnte dies zu einem weiter steigenden Prüfungsaufwand führen und Genehmigungsverfahren weiter in die Länge ziehen.
Schließlich ist die in der Neufassung von Art. 74 Abs. 2 Industrieemissionsrichtlinie vorgesehene Ermächtigung der Kommission, im Wege delegierter Rechtsakte die Anhänge I und Ia zu ändern, entschieden abzulehnen. Damit verbunden wäre die Befugnis der Kommission, den Anwendungsbereich dieser Richtlinie auf weitere Agrar- und Industrietätigkeiten zu erweitern bzw. zu verschärfen, z. B. durch Aufnahme weiterer Tierhaltungen (wie Pferde, Schafe) oder Reduzierung der Schwellenwerte für Tierhaltungen, Brauereien usw. Für eine solche Ermächtigung ist weder eine Notwendigkeit ersichtlich, noch eine kompetenzrechtliche Grundlage gegeben. Vielmehr würde sie erhebliche Rechtsunsicherheit und ggf. erheblichen nachträglichen Anpassungsbedarf der nationalen Rechtslage und der Vollzugspraxis bedeuten. Wesentliche Aspekte sind im Gesetz selbst zu regeln und nicht per delegiertem Rechtsakt durch die Kommission (s. Art. 290 AEUV).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Vorschlag das Subsidiaritätsprinzip in mehrfacher Hinsicht verletzt und vor allem ein außer Verhältnis stehendes Mehr an Bürokratie für Mitgliedstaaten und Bürger bringen würde. Daher lehnt der Landtag den Vorschlag ab. In der heutigen Zeit muss es vielmehr darum gehen, Anreize zur Emissionsvermeidung und zur Nutzung moderner Technologien zu setzen und Bürokratie abzubauen.
Der Beschluss des Bayerischen Landtags wird unmittelbar an die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, den Ausschuss der Regionen und den Deutschen Bundestag übermittelt.